Am 2. Februar 2020 findet in Leipzig die Oberbürgermeisterwahl statt. Vor wenigen Wochen ist Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow von der CDU zum Kandidaten nominiert worden. Herr Gemkow erzählte uns, warum es einen Führungswechsel bedarf und wie er die Beziehungen zu Russland ausbauen will.
Sebastian Gemkow ist studierter Jurist und seit 1998 Mitglied in der CDU. Seit 2009 ist er Abgeordneter im Sächsischen Landtag und seit 2014 Sächsischer Staatsminister der Justiz.
MOST: Neben Ihnen stellen sich unter anderem der jetzige Amtsinhaber Burkhard Jung von der SPD und die Grünen-Politikerin Katharina Krefft zur Wahl zum Oberbürgermeister. In welchen Punkten unterscheiden Sie sich von Ihren Konkurrenten? Warum bedarf es Ihrer Meinung nach eines Führungswechsels?
Leipzig ist eine wunderschöne Stadt und sie hat sich in den letzten Jahren hervorragend entwickelt. Viele Menschen fühlen sich wohl, viele Menschen, die schon lange hier wohnen, viele die neu dazugekommen sind, aber wir müssen heute entscheiden, wie wir in den nächsten Jahrzehnten leben wollen. Das heißt für mich ist wichtig, dass wir jetzt Weichen stellen für Projekte, für Ideen, die eben eine ganze Weile [an] Entwicklung brauchen und die, wenn wir sie richtig umsetzen verhindern, dass wir in den nächsten Jahren an Probleme stoßen in dieser Stadt, denn schon jetzt ist sichtbar, dass eine wachsende Stadt auf Probleme stoßen kann. Dazu gehört das Thema: „Wohnen“ Werden wir in Zukunft noch unsere Mieten bezahlen können? Dazu gehört das Thema: „Mobilität“ Können wir alle, die wir ganz verschiedene Verkehrsmittel benutzen, sicher und schnell durch die Stadt und aus der Stadt herauskommen? Und das sind die Fragen, die wir heute entscheiden müssen. Fragen die weit in die Zukunft hineinreichen und deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir jetzt einen Wechsel brauchen. Das wir jetzt mutig und klug neue Ideen angehen müssen.
MOST: Sie sind in Leipzig geboren und aufgewachsen und konnten seine dynamische Entwicklung mitverfolgen. Welche aktuellen Probleme und Perspektiven sehen Sie in unserer Stadt?
Drei ganz wichtige Themen gilt es in meinen Augen jetzt anzugehen: Das eine ist das Thema Sicherheit. Wir müssen in Leipzig alle weiter sicher leben können. Viele Menschen sind verunsichert. Wir sehen es an der polizeilichen Kriminalitätsstatistik, dass die Straftaten in Leipzig zunehmen während sie in anderen Regionen in Sachsen abnehmen. Da möchte ich stark dagegen steuern. Schon als Justizminister konnte ich die sogenannten beschleunigten Verfahren verstärken. Das heißt Straftäter werden in diesem Verfahren sehr schnell zur Verantwortung gezogen. Das dauerte von wenigen Tagen bis zum Teil nur wenigen Stunden. Wir hatten Straftaten die früh geschehen sind und am Abend war schon das Urteil und die Strafe da. Das heißt die Strafverfolgung ist intensiviert, aber ich möchte auch, dass es zu überhaupt weniger Straftaten kommt. Und deswegen glaube ich muss der Verfolgungsdruck auf Kriminelle erhöht werden. Ich möchte die Drogenszene, die sich irgendwie immer weiter in unserer Stadt ausbreitet und gefühlt eine Bedrohung für die Menschen darstellt in die Schranken weisen. Ich möchte das hier mehr Verfolgungsdruck kommt, dass diese Straftäter konsequenter verfolgt werden und sie sich gar nicht in unserer Stadt erst ansiedeln.
MOST: Und welche Lösungsansätze haben Sie, um uns diese Sicherheit zu garantieren?
Es ist eine Mischung aus verschiedenen Maßnahmen. Ich meine das erstens noch mehr Personal bei der Polizei nach Leipzig kommen muss. Das die Kontrollen verstärkt werden. Ich möchte aber auch, dass der Ordnungsdienst der Stadt, der Polizeiordnungsdienst, auch mehr Kontrollen durchführt. Selber schaut, im Zweifel dann die Polizei hinzuruft. Ich möchte auch, dass die Polizei von Aufgaben entlastet wird. Wenn zum Beispiel nachts Ruhestörungen sind und Menschen nicht schlafen können und dann die Polizei rufen müssen dann ist das eine Aufgabe, die eigentlich die Stadt übernehmen kann. Das möchte ich intensivieren ich möchte, dass der Ordnungsdienst, Stadtpolizei auch nachts die Kontrollen übernehmen und davon dann die Polizei selber entlastet wird und sich um die echten Straftäter kümmern kann.
MOST: In einem Interview betonten Sie, dass „Leipzig noch innovativer und die Vernetzung mit dem Umland noch enger werden soll“. Welche konkreten Schritte sehen Sie in den Bereichen Innovation und Vernetzung vor?
Ich bin davon zutiefst überzeugt, dass die Zukunft der Stadt und der gesamten Region nur in einem Zusammenspiel zwischen Stadt und Umland funktionieren kann. Wir sehen jetzt schon der Platz in der Stadt wird weniger wir brauchen aber mehr Wohnungen, wir brauchen mehr soziale Einrichtungen, auch die Unternehmen suchen zusätzliche Flächen wie sie weiterwachsen können, was für uns alle von großer Wichtigkeit ist, damit wir unsere Aufgabe überhaupt finanzieren können. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir auch mit dem Umland stärker zusammenarbeiten müssen. Das ist in der Vergangenheit zu wenig passiert, die Stadt Leipzig hat zu wenig mit den Bürgermeistern und Kommunen im Umland gesprochen und gemeinsame Konzepte entwickelt, aber die Zukunft in einer großen Region: Leipziger Raum. Deswegen möchte ich, dass der Verkehr flüssiger möglich ist zwischen dem Umland und Leipzig. Der öffentliche Personennahverkehr muss ausgebaut werden, von mir aus auch eine Verlängerung von Straßenbahnlinien in den ländlichen Raum. S-Bahnnetze müssen ausgebaut werden und auch mit dem Auto muss man zügig von der Stadt in das Land und umgekehrt fahren können. Deswegen halte ich es für falsch Straßen einzuengen und den Verkehr zu erschweren, sondern im Gegenteil. Es muss viel einfacher möglich sein raus und rein zu fahren. Dann können wir zum Beispiel auch im Umland Kindergärten mitnutzen, Schulen mitnutzen, entlasten damit unsere eigenen Kapazitäten und schaffen es, dass im ländlichen Raum, wo Schulen ja zum Teil geschlossen werden müssen, auch dort die Einrichtungen weiterarbeiten können. Wir schaffen es außerdem so, dass junge Familien, die sich vielleicht noch ein kleines Haus bauen wollen im Umland ein Haus bauen können, weil sie dann eben schnell in die Stadt reinfahren können, weil sie schnell auf die Arbeitsstelle kommen, oder ihre Kinder in die Schule bringen können. All das funktioniert nur, wenn wir schnell hin und herfahren können. Und deswegen müssen wir miteinander sprechen, denn die Zukunft liegt in einer großen Region Leipzig.
MOST: Sie sind Präsident des Parlamentarischen Forums Mittel- und Osteuropa und Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums. Planen Sie, die Beziehungen zu Russland zu pflegen bzw. auszubauen und wenn ja, auf welche Art und Weise?
Ich bin in Leipzig aufgewachsen, ich bin hier geboren, wir hatten zu allen Zeiten sehr guten Kontakt zu Menschen aus der Sowjetunion, später dann auch zu Russland und den anderen Republiken die später entstanden sind und mir tut es sehr weh, wenn ich sage welche Chancen, oder wenn ich sehe welche Chancen in den letzten Jahrzehnten nicht genutzt worden sind. Nach der friedlichen Revolution sind wir alle davon ausgegangen, dass friedliche Zeiten anbrechen, dass die Völker miteinander im Frieden leben und es wäre damals die große Chance gewesen auch zu Russland ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Diese Chancen hat man vertan und heute sehen wir, dass es wieder zu Konfrontationen kommt. Und deswegen bin ich überzeugt davon, dass es heute wichtiger, als je zuvor ist, dass wir einen guten Kontakt miteinander haben. Das Menschen sich treffen, sich kennenlernen und Verständnis für die jeweils andere Position entwickeln. Deswegen möchte ich diesen Austausch intensivieren, ich möchte das Leipziger engeren Kontakt zu den Menschen aus Russland haben. Ich kann es mir zum Beispiel gut vorstellen eine Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und einer russischen Stadt ins Leben zu rufen. Die gibt es ja nicht mehr, wir hatten damals eine Partnerschaft mit Kiew, die gibt es auch heute noch, aber es ist damals die Sowjetunion gewesen. Heute liegt Kiew in der Ukraine, ich möchte aber auch das wir mit Russland eine Städtepartnerschaft haben. Dafür würde ich mich zum Beispiel sehr gerne einsetzen.
MOST: Sie sind häufig zu Gast auf verschiedenen russischsprachigen Veranstaltungen und Empfängen in Leipzig. Nach einigen Einschätzungen leben in Leipzig derzeit rund 7.000 russischsprachige Menschen, viele davon sind Ihre potentiellen Wähler. Wie möchten Sie diese Zielgruppe erreichen?
Ich bin davon überzeugt, dass die Probleme, die jeder Leipziger hat, egal wo er herkommt, in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Herkünften ähnlich wahrgenommen werden. Wir alle haben ein Problem, wenn wir mit dem Auto nicht weiterfahren können, oder wenn wir mit dem Fahrrad in eine unsichere Situation geraten, wenn das Wohnen für uns zu teuer wird, oder das Gefühl haben, dass unsere Sicherheit bedroht ist. Deswegen sind die Themen, die für alle Leipziger wichtig sind, natürlich auch für diejenigen wichtig, die ihre Herkunft aus dem russischen Sprachraum haben. Insofern möchte ich ein Oberbürgermeister für alle Leipzigerinnen und Leipziger sein und lade alle auch herzlich ein das gemeinsam mitzugestalten.
MOST: Auch Ihre Kinder kommen regelmäßig zu den Vorstellungen des Puppentheaters in unserem Verein. Zu einem unserer Schwerpunkte zählt Hilfe für Kinder und Jugendliche aus den sozial schwachen Familien. Wie möchten Sie zukünftig gemeinnützige Organisationen unterstützen und wie sehen Sie die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in der Stadt Leipzig?
Kinder und Jugendliche das sind unsere Zukunft. Wir müssen alles daransetzen, dass sie sicher aufwachsen, dass sie sich wohlfühlen, dass sie die besten Chancen auch für Bildung haben, insofern müssen wir dafür Sorgen das in Zukunft ausreichen Schulen da sind. Kindertagesstätten sind jetzt im Moment das akute Thema. Wir müssen dafür sorgen, dass ausreichen Plätze da sind. Aber in den nächsten Jahren werden es Schüler sein. Und deswegen müssen wir ausreichen Schulen bauen. Aber was man sagen muss: Ein ganz, ganz herzliches Dankeschön an Sie als Verein, die schon seit sehr vielen Jahren eine hervorragende Kinder- und Jugendarbeit machen. Die Stadt Leipzig unterstützt es in einem geringen Maße, aber ich möchte auch sehr gerne persönlich Ihre Arbeit mit unterstützen. Ich bedanke mich auch ganz herzlich bei Ihnen, denn ohne Sie wäre Kinder und Jugendarbeit in dieser Stadt um einiges ärmer. Vielen herzlichen Dank!
MOST: Wir bedanken uns bei Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg.
Interview: Maria Knyazeva, Mikhail Vachtchenko
Kamera / Schnitt: Zhanna Strizhak
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