Interview mit Sören Pellmann „Die Linke“

Pellmann

Interview mit dem Bundestagsabgeordneten und Kandidaten für den neuen Bundestag in
den Wahlen 2021 Sören Pellmann (Die Linke).
Das Interview führte Prof. Dr. Heidrun Zinecker.

 

H.Z./Most:Bei der Sonntagsfrage steht Die Linke mit zurzeit rund sieben Prozent von allen sechs im
Bundestag befindlichen Parteien am schlechtesten da. Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt hat sie um die fünf Prozentpunkte verloren. Wenn man beim Meinungsforschungsinstitut Forsa (bis 1998) zurückverfolgt, wie ihre Umfragewerte früher waren, findet man: 2007 erreichte die Partei schon einmal 14 Prozent, heute aber eben nur sieben. Sie hat also seitdem genau die Hälfte an Unterstützung verloren. Wie erklären Sie sich das?

S.Pellmann/(Die Linke):Ich glaube schon, dass man die Probleme auch außerhalb der Partei suchen kann, aber es ist auch viel Selbstgemachtes dabei. Ich habe sehr häufig folgende Rückmeldungen bekommen:
Erstens: Der Streit, den Ihr miteinander in der Partei habt, lähmt Euch und hält uns davon ab, bei Euch die Perspektive zu sehen, dass es eine Besserung gibt.
Zweitens: Man wird häufig gefragt, wo denn der Gebrauchswert liege, Die Linke zu wählen. Der Linken wird oft nachgesagt: Ihr macht das schon so lange, und, wenn man die PDS (die Vorgängerpartei der Partei „Die Linke“ H.Z.) mitberücksichtigt, schon drei Jahrzehnte. Damit gehört ihr zum „Establishment“, auch deshalb, weil Ihr auf Landesebene (mit)regiert. Ihr seid schon lange nicht mehr so widerspenstig, angriffslustig und beißfreudig wie früher. Ich antworte darauf: Dazu müssen wir zurückkommen.
Mir ist es zudem auch persönlich wichtig, dass das „Kümmerer-Image“ nicht verloren geht. Es gibt viele in meiner Partei, die sagen, das brauchen wir nicht mehr! Aber genau das Kümmern ist es, was zu den Wahlerfolgen der Linken im Osten beigetragen hat. Wir sollten nicht nur Themen bearbeiten, weil sie gerade im medialen Fokus stehen. Wir müssen uns auf unsere Grundzüge besinnen.

H.Z:/Most: Beim Thema „Klima“ kommen mir die jetzigen Wahlprogramme der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen im Grunde recht ähnlich vor. Allerdings haben Die Grünen dazu 17 Seiten verfasst, die Linke sieben. Die Grünen sind also detaillierter. Wenn mir Klima wichtig ist, warum soll ich dann Die Linke wählen und nicht, mit den Grünen, das Original?

S.Pellmann/(Die Linke): Wichtig ist hier die Umsetzung der Klimaziele entsprechend dem Pariser Klimaabkommen. Hierzu haben auch Die Grünen gesagt: Ziel sind 1,5 Grad. Sie sind aber davon darin abgewichen, was die zeitliche Erreichbarkeit betrifft. Da ist Die Linke in der Programmatik diejenige, die das am zeitnächsten will ähnlich wie z.B. Fridays for Future oder GermanZero. Der zweite elementare Unterschied besteht darin, dass es den Grünen egal ist, wenn es den Bürger mehr kostet. Wir hingegen sagen: Es muss sich das auch jeder leisten können. Denn es darf nicht sein, dass die mit dem dicken Portemonnaie und einem deutlich schlechteren CO2 Fußabdruck sich nicht nur mehr leisten können, sondern auch mehr Umweltsünden begehen dürfen, weil sie die Möglichkeit haben, sich „freizukaufen“. Die soziale Verantwortung beim Klima ist bei den Grünen kaum spürbar. Anders gesagt: Sie sind sozial unausgewogen. Zum Beispiel: Der öffentliche Personennahverkehr ist für Klimaschutz elementar wichtig. Wenn ich in Deutschland die Verkehrswende möchte, also die Menschen weg vom Auto und hin zum öffentlichen Personennahverkehr bringen will, muss ich den attraktiver und bezahlbarer machen. Doch im Umkreis von Leipzig fahren in manchen Gegenden nur zwei Busse am Tag; da ist kein Straßenbahnnetz, und die Zugverbindungen sind schon lange gekappt. Wie bitteschön, sollen die Bürger also zum Einkaufen, zum Arzt oder in die Schule kommen, wenn nicht mit dem Auto? Es gibt dort aber nichts, was angeboten wird. Und das sollte man immer mitbedenken. Es muss eine Alternative geben, wenn man die Leute vom Auto wegbringen möchte, und sie muss finanzierbar sein.

Pellmann

H.Z./Most: Ein wichtiges, von den Parteien sehr unterschiedlich reflektiertes Thema ist das der Zuwanderung. Die Linke entspricht in ihrer – toleranten – Politik der statistisch bestätigten Lage. Die AFD aber nimmt die – sehr viel besorgtere – Stimmung der Bevölkerung auf. Stimmungen sind jedoch ernst zu nehmen und gerade bei Wahlen oft entscheidend. Wie löst die Linke dieses Problem?

S. Pellmann/(Die Linke): Ich war und bin gut beraten, nicht jedem Zuwanderer einen Stempel aufzudrücken. Was in einigen Teilen meiner Partei passiert ist – dass jeder, der Ängste und Sorgen hat oder Fragen stellte, gleich als Rassist oder Ausländerfeind dargestellt wurde – lehne ich ab. Wir haben 2015, als die Geflüchteten in großer Zahl nach Leipzig gekommen sind, gute Erfahrungen mit transparentem Herangehen gemacht. Im Osten gab es ein großes und einzigartiges bürgerschaftliches Engagement. Über 10.000 Leipziger und Leipzigerinnen haben sich daran beteiligt, zu helfen und ein Ankommen der Flüchtlinge in der Gesellschaft zu ermöglichen. Und das ist besser als Integrationskurse von oben herab zu verordnen. Ich hatte in meiner Klasse drei Kinder aus Syrien (Kinder integrieren sich sehr schnell und leicht, während man in der Elternarbeit viel eher auf Grenzen stößt). Hier stellte sich für mich die Frage: Was darf ich als Lehrer und was nicht? Dabei ging es auch darum, Eltern, die schon länger in Deutschland sind oder auch hier geboren wurden, mit Geflüchteten und Dazugekommenen zu vernetzen. Wenn sich beide austauschen und aktiv aufeinander zugehen, ist das gelebte Integration! Dies ist zwar ein sehr kleinteiliger und arbeitsintensiver Weg, aber der bessere. Es empfiehlt sich, nicht nur zu sagen, jeder kann zu uns kommen, sondern auch die Frage zu beantworte, wie integrieren wir sie und wie schaffen wir es, dass sie sich auch wohlfühlen und nicht das Gefühl haben, hier lediglich zu wohnen! Gewiss, die Situation 2015 war noch so, dass es zuerst darum ging, die Flüchtlinge unterzubringen und zu ernähren. Es wurde aber Integration versprochen! Kita-Plätze, Schulen und Arbeitsplätze hatten aber anfangs überhaupt keine Rolle gespielt hat. Das hat dann zu Frustration geführt, auch im Osten und in Gebieten, wohin kaum Geflüchtete gekommen sind. Ich war kurz nach den Landtagswahlen 2015 in Mecklenburg im Sommerurlaub auf der Insel Usedom. Dorthin ist kein Geflüchteter gekommen. Doch genau da erhielt die AfD Wahlanteile von über 30 %, allein aufgrund der gefühlten Gefahr, die Flüchtlinge könnten uns ja etwas wegnehmen. In den Flüchtlingen hat man dabei eine Gruppe ausgemacht, die in der eigenen Wahrnehmung noch unter einem ist, nach dem Prinzip: „Ich schaue nicht nach oben, wer mir dort etwas wegnimmt, sondern danach, ob es unter mir jemanden gibt, der noch schwächer ist als ich, und den erkläre ich dann zu meinem neuen Gegner!

H.Z./Most: Russland ist besonders wichtig für unsere Leser:innen: Die Linke schreibt in ihrem „Wahlprogramm 2021 (Anm. H.Z.: Zitiert wird hier aus dem Entwurf, da das beschlossene Programm zu Redaktionsschluss noch nicht veröffentlich ist) dazu von „Entspannung“, die AFD ist mit Aufhebung der Sanktionen“ und „Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen“ gegenüber Russland konkreter. Hat das Die Linke bloß nicht so konkret geschrieben oder liegt das tatsächlich an ihrer anderen Sichtweise zu diesem Thema?

S. Pellmann/(Die Linke): Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ernst gemeint die diesbezügliche Programmatik bei der AfD ist, aber persönlich und auch programmatisch bin ich der festen Überzeugung, dass es in einem europäischen Verbund nur gemeinsam mit Russland gehen kann. Ich bin auch der Überzeugung, dass das, wenn es um Friedenssicherung und eine friedliche Mission als europäischen Kontext geht, nur gemeinsam funktioniert. Das Wettrüsten vonseiten der NATO, darunter der Raketenabwehrschirm, der an die europäische Außengrenze in Richtung Russland geschoben wurde, ist der völlig falsche Weg. Auf Eskalation zu setzten, ist falsch. Außerdem meine ich, dass auch das Wirtschaftsembargo, das gegen Russland verhängt worden ist, ein völlig falscher Schritt ist. Das bekomme ich in all den Gesprächen mit, die ich mit Wirtschaftsvertretern in Sachsen und auch darüber hinaus geführt habe. Ein Embargo ist keine Einbahnstraße, und wir schaden nicht nur und nicht so sehr Russland damit, nein, wir schaden dadurch der eigenen Wirtschaft. Embargos sind immer der falsche Weg: Denn die, die man treffen will, trifft man genau damit nicht. Daher glaube ich, dass das Embargo zeitnah aufgehoben werden muss. Denn wenn ich mir den Osten der Bundesrepublik Deutschland anschaue, ist hier Russland einer der hauptsächlichen Wirtschaftspartner sowohl im Import als auch im Export. Das Embargo hat dazu geführt, dass wir im Osten wirtschaftliche Stagnation haben. Es führte zum Beispiel dazu, dass wir in Deutschland kein Holz mehr vorrätig haben, zumindest kein bezahlbares. Das wenige, was da ist, wird durch Amerika und Kanada aufgekauft. Ein Irrsinn, das versteht „da draußen“ keiner mehr und muss folglich beendet werden.

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