A.F.: Ich möchte Ihnen, an dieser Stelle, Herrn René Hobusch (FDP) vorstellen, der für die Bundestagswahl im September 2021 kandidiert. In dem Interview wurde vereinbart, Ihnen den Menschen hinter dem Kandidaten und seinen politischen Vorstellungen näher zu bringen.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Wir betreten einen mondänen Gründerzeitbau mit seinen riesigen und hohen Räumen. Nach kurzem Warten im Flur einer ehemaligen hochherrschaftlichen Wohnung winkt uns Herr Hobusch zu sich in sein Büro. Wir stehen in einem spartanisch eingerichteten Büro ohne jeglichen Luxus. Ein unkonventioneller, sympathischer Mittvierziger kommt lächelnd auf uns zu. Man spürt sofort, auch er freut sich auf das Interview. Wir nehmen an einer kleinen Sitzecke Platz und schon sind wir mittendrin in einem lockeren Gespräch über viele verschiedene Themen:
A.F.: Was sagen Sie zum Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft bei der EM?
R.H.: Der Bessere setzt sich durch, das ist im Fußball wie in der Politik der Fall. Wichtig ist, dass fair gespielt wird; dann soll der Bessere gewinnen.
A.F.: Sie kommen ursprünglich aus Zeitz und haben in Leipzig studiert. Was hat Sie angeregt, sich in Leipzig mit Ihrer Kanzlei niederzulassen?
R.H.: Meine Frau ist Leipzigerin, sie hat ihre Wurzeln in Leipzig, wir hatten zum damaligen Zeitpunkt bereits zwei Kinder hier in Leipzig. Ich bin dann als selbständiger Rechtsanwalt zuerst in eine bereits bestehende Kanzlei. Seit 2015 habe ich meine eigene Kanzlei hier in diesen Räumen, die ursprünglich ein Provisorium waren.
A.F.: Völlig unpolitisch als Bürger der Stadt Leipzig gesehen: Was gefällt Ihnen heute an Leipzig am besten und was gefällt Ihnen gar nicht?
R.H.:Leipzig ist, wenn ich es mit dem Rest Sachsens vergleiche, auch mit Dresden (wo ich fast wöchentlich zu Terminen bin), viel offener, viel bunter, viel kosmopolitischer und das macht Leipzig so spannend und lädt auch dazu ein, hier zu bleiben.
A.F.: Und was gefällt Ihnen nicht so gut?
R.H.: Die Art und Weise wie wir manche politische Debatte führen und die Härte, die sich dabei herausgebildet hat.
A.F.: 2019 erreichte die FDP Leipzig nur knapp 5% – worauf führen Sie diesen Stimmenverlust gegenüber 2009 zurück? Zumal dieser Stimmenverlust konträr zur bundesweiten Entwicklung liegt.
R.H.: Leipzig ist in seinem Grundwesen eine sehr liberale Stadt. Vieles, wofür wir kulturell und gesellschaftspolitisch als Liberale kämpfen und stehen, gibt es in Leipzig. Wenn Sie auf die Zahlen 2019 genau schauen, dann haben sie sich gar nicht verschlechtert, in absoluten Zahlen hatten wir sogar mehr Wähler als 2009. Nur der Anteil der Bürger, die wählen gegangen sind ist gestiegen, was dazu geführt hat, dass wir unter dem Strich einen geringeren Anteil am Gesmtergebnis hatten. So ist das halt mit der Mathematik.
A.F.: Sie haben einmal zu Ihren Zielen in dieser Funktion im Stadtrat gesagt: Leipzig muss es geschafft haben, die wegfallende Unterstützung aus dem Solidarpakt aus eigener Kraft zu kompensieren. Sind Sie der Meinung, dieses Ziel erreicht zu haben?
R.H.: Nein. Wir waren insgesamt auf einem guten Weg, auch mit der Verpflichtung keine Neuver-schuldung zu betreiben und alte Verbindlichkeiten abzubauen. Allerdings hat sich in den letzten Jahren doch einiges gewandelt, auch die Begehrlichkeiten der Parteien im Leipziger Stadtrat sind erheblich gestiegen. Wir sind zuletzt mit fast 600 Mio Euro Neuschuldenaufnahme coronabedingt und 120 Mio Euro zusätzlichen Vorstellungen und Forderungen aus den Parteien heraus von dem ursprünglichen Entschuldungskurs weit abgeraten. Dem gegenüber haben wir immer noch viel zu geringe Steuereinnahmen im Hinblick auf die Verpflichtungen, die wir haben.
A.F.: Sie Schreiben auf der FDP-Homepage, dass Sie 2013 selbst einmal als OBM kandidieren wollten. Wie sehen Sie das hauchdünne Ergebnis der letzten OBM-Wahl 2020?
Das war tatsächlich ein sehr knapper Erfolg. Ich war Jemand, der sich vor dem 2. Wahlgang klar positioniert und gesagt hat, dass für die Stadt in der jetzigen Situation Burkhard Jung die bessere Wahl ist. Er hat die Wahl sehr knapp mit den Stimmen der Linken und der Grünen gewonnen. Allerdings musste er sich dazu ein Stückchen zu sehr mit Versprechen an die Parteien der Linken und Grünen verkaufen. Ich weiß, er ist hin und wieder in einem ziemlichen Zwiespalt zwischen seinen eigenen Zielen und den Verpflichtungen, die er eingegangen ist. Das ist jetzt eine große Aufgabe für ihn, das zu bewältigen.
A.F.: Burkhard Jung wird mit dieser Wahl nun voraussichtlich 21 Jahre lang die Geschicke Leipzigs führen.
R.H.: Da dürfte er der Oberbürgermeister mit der längsten Amtszeit sein, historisch gesehen. Ich glaube er wäre dann der Erste mit so einer langen Amtszeit.
Fast, die längste Amtszeit hatte bisher Carl Wilhelm Otto Koch mit 27 Jahren von 1849 – 1876. (Quelle: Wikipedia)
A.F.: Die FDP hat u.a. die Begrenzung des Kanzleramtes auf 2 Wahlperioden im Wahlprogramm. Wie sehen Sie die Möglichkeit einer Umsetzung dieser Forderung auch auf ein OBM-Amt?
R.H.: Was wir da als Bundespartei für das Kanzleramt vorgeschlagen haben, sollte man grundsätzlich auch im Hinblick auf alle Wahlämter prüfen. Um Erneuerungen und frischen Wind in solche Ämter hineinzubringen und auch frischen Schwung und neue Energie.Was jetzt nicht im Widerspruch zu meiner letzten Wahlempfehlung steht.
A.F.: Kommen wir zu einem ganz anderen Thema: Nach dem erneuten Tod eines Elefantenbabys (Kiran) in unserem Zoo werden auch die Fragen an der Berechtigung einer Zoo-Haltung von Tieren überhaupt lauter. Wie stehen Sie dazu?
R.H.: Oh, das ist ein schweres Thema. Ich finde, dass wir einen sehr modernen, einen sehr zukunftsorientierten Zoo haben im Vergleich zu anderen zoologischen Gärten in Deutschland. Der Zoo hat sehr viel investiert, hat einen Masterplan für seine Weiterentwicklung. Ich denke, dass wir einen sehr spannenden und auch in der Art der Haltung sehr artgerechten Zoo haben. Aber ich bin kein Experte dafür.
A.F.: .: „Artgerecht“ möchte ich nicht unbedingt unterschreiben, aber unser Zoo ist auf jeden Fall ein starker Tourismusmagnet, nicht zuletzt auch durch seine Präsenz im Fernsehen.
R.H.: Wir sind weit weg von dem alten Zoo, den ich noch als Kind kenne, wo im Affenhaus die Affenfamilien auf den Kacheln saßen und apathisch waren. Jetzt haben sie ein Pongoland, die Afrika-Tiere haben eine riesige Savanne. Und ganz unterschiedliche Lebensarten und Lebensräume, die es weltweit für Tiere gibt, werden doch sehr naturnah dargestellt. Klar, es bleibt Mitteleuropa und Mitteleuropa ist nicht Afrika oder Asien. Aber ich glaube da hat unser Leipziger Zoo schon eine große Wegmarke gesetzt.
A.F.: Der Ostbeauftragte der Bundesregierung (Marco Wanderwitz, CDU) hat unlängst über die ostdt. Bürger die Aussage in den Raum gestellt: „Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“. Schwierige Behauptung, oder?
R.H.: Ich bin im Osten geboren, aber ich kann mit den Begriffen Ossi, Wessi, Ost- und Westdeutsche überhaupt nichts mehr anfangen. Ich finde, es muss irgendwann einmal aufhören, dass wir Menschen nach Herkunft beurteilen, ob sie im Osten, Westen, Norden oder Süden, innerhalb oder außerhalb Europas geboren sind. Ich bin sehr viel in Gremien tätig, wo ich mit Menschen aus allen Bundesländern immer wieder zu tun habe und diesen Unterschied nicht mehr spüre.
Natürlich gibt es gebrochene Biografien – ich habe das in meiner eigenen Familie, bei meinen Eltern erlebt, wie es ist, in den frühen 90er Jahren erst einmal den Job zu verlieren und sich neu orientieren zu müssen. Viele haben die Chance mit der Wiedervereinigung genutzt, manche habe sie weniger genutzt, manche konnten es, manche waren vielleicht nicht so dazu in der Lage. Allerdings hat Herr Wanderwitz recht mit seiner Beobachtung, dass man, sobald aus den großen Städten herauskommt, doch häufig eine sehr strukturkonservative Haltung vorfindet, die es in ihrer Art und Weise so nicht einmal in der alten Bundesrepublik zur Wiedervereinigung gab. Das Ablehnen von Anderem, von Fremdem, von Neuem hat sich da sehr etabliert. Wie auch der Wunsch, an die Hand genommen zu werden, als des Glückes eigener Schmied zu sein. Das ist richtig so beobachtet durch Herrn Wanderwitz, aber wir können und sollten es den Menschen nicht zum Vorwurf machen.
A.F.: Eine Frage zum Thema Impfen generell: In der DDR gab es eine allgemeine Impfpflicht zugunsten der Gesundheit aller Bürger. Wie sehen Sie das heutige Impfverhalten gerade unter dem Gesichtspunkt der umfangreichen Globalisierung?
R.H.:Diese Diskussion Impfen ja/nein, sollte es Pflicht sein ja/nein und wenn ja, welche Impfungen, die führt mittlerweile, glaube ich, jede Familie. Meine Frau und ich haben uns auch impfen lassen, obwohl wir am Anfang beide etwas skeptisch waren, ob das jetzt schon der richtige Zeitpunkt ist. Die Frage ist, wozu dient eine Impfung. Dem individuellen Risiko, das vermieden werden soll oder soll es einem kollektiven Vorteil dienen. Das war auch der Ansatz jetzt bei der Impfung in der Pandemie, wie überhaupt aller Maßnahmen in der Pandemie, die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems zu erhalten. Ich sage vielen, sie sollen doch bitte einmal darüber nachdenken, was sie sich alles vor ihrem letzten Auslandsurlaub nach Südamerika oder Afrika haben impfen lassen.
A.F.: Bei der „Sonntagsfrage“ sehen sie derzeit alle gängigen Meinungsforschungsinstitute bei deutlich über 10%, vielleicht sogar in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der SPD.
R.H.: Das ist immer erst einmal eine Stimmung, abgerechnet wird am 26. September, wenn die Uhr 18 Uhr geschlagen hat. Die Zahlen dann sind entscheidend.
A.F.: Damit könnten sie zum Zünglein an der Waage für jegliche Koalition werden.
R.H.: Es gibt ja nicht nur Varianten unter Beteiligung der FDP an der Regierungskoalition. Es gibt auch Varianten, die Rot-Rot-Grün aussehen.
A.F.: Christian Lindner favorisiert nach eigenen Angaben eine Koalition mit der CDU (dpa 26.04.). Sehen Sie auch eine Koalition mit der CDU als ihren Favoriten an oder würden Sie etwas anderes bevorzugen oder könnten Sie sich etwas anderes vorstellen?
R.H.: Christian Linder kann auf eine sehr gute Zusammenarbeit mit Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen zurückschauen und hat da die Erfahrung. Am Ende wird es darum gehen, welche Position wir aus unserem eigenen Programm und welche unserer eigenen Ideen wir am stärksten in einer Koalition umsetzen können. Da will und da kann ich mich im Moment nicht festlegen. Am Ende wird es der Wähler entscheiden und dann muss man gucken, dann muss man verhandeln, Gespräche führen und was ist mit wem am stärksten umsetzbar, wo sind die stärksten Erneuerungsimpulse für die Bundesrepublik und für unser Land zu erwarten.
A.F.: Worin sehen Sie die erneute Begeisterung für die FDP begründet, wobei Christian Lindner in der Beliebtheitsskala der Bevölkerung doch nur auf Platz 8 liegt?
R.H.: Es gibt ja nicht nur Christian Lindner, es gibt viele andere Bundespolitiker, die Kraft ihrer Ämter eine viel stärkere Wahrnehmung haben als er. Da gibt es eine Bundeskanzlerin, es gibt Minister von CDU und SPD, es gibt die Parteivorsitzenden von CDU und SPD und von den Grünen, die ganz unterschiedlich im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung sind und so etwas zählt natürlich immer mit. Da ist ein Platz 8 unter all den Namen, die man spontan aufzählen könnte, gar nicht so schlecht. …
Sie haben mich gefragt, wie es gekommen ist, dass wir wieder so gut dastehen. Das liegt schlichtweg daran, dass wir verstanden haben, was 2013 passiert ist und wir haben auch verstanden, dass es in der Vergangenheit ein Fehler war, sich zu sehr abhängig von Farbspielen und von Koalitionsmodellen zu machen. Sie haben es 2017 gesehen als wir, für meinen Geschmack sehr spät, den Mut hatten zu sagen, wir regieren nicht mit. Man muss auch mal politisch NEIN sagen können. Wir hätten das eher tun sollen. Wir hatten zeitig gemerkt, dass es eigentlich sehr feste Absprachen zw. der Union und den Grünen gab, nur die Mehrheit für eine schwarz-grün Regierung nicht gereicht hat. Und wir dann, als das 5. Rad am Wagen, die Mehrheiten beschaffen sollten. Hier hätten wir vielleicht schon eher aussteigen sollen oder hätten die Bundeskanzlerin mit konkreten Forderungen konfrontieren sollen, hätten sie schon 2017 für das Zustandekommen einer Koalition z.B. zu einer Aussage zum Solidarzuschlag drängen sollen. Aber das ist Schnee von gestern.
Wir haben uns seit 2013 auch sehr stark mit uns selbst beschäftigt, haben geschaut, wo sind unsere Stärken, wo sind unsere Schwächen, was sind Fehler in der Vergangenheit gewesen, was haben wir gut gemacht. Es ist uns gelungen, neben Themen wie Wirtschaft und Steuern auch wieder Bürgerrecht und Bildung in den Vordergrund zu stellen. Wir stehen stark für das, wofür die Bundesrepublik steht, nämlich für ein Aufstiegsversprechen durch eigene Leistung. Und das haben die Bürger erkannt und gesehen und vertrauen uns da, dass wir für sie persönlich, für ihre Freiheiten und Rechte kämpfen.
A.F.: Die gleichen Meinungsforschungsinstitute sehen die AfD in den ostdeutschen Bundesländern auf Platz 2 hinter der CDU/CSU. Woraus zieht die AfD Ihrer Meinung nach diese enorme Kraft in Ostdeutschland?
R.H.: Ich konnte sie am Montagabend wieder in einer Diskussion erleben. Eigentlich nimmt sie nur irgendwelche großen Überschriften, eigentlich versucht sie immer nur die Stimmung in der Bevölkerung zu wittern und aufzugreifen und mit der Stimmung Politik zu machen. Wenn es darum geht, konkrete Angebots- und Lösungsansätze zu präsentieren, dann ist sie ein Totalausfall. Aber offensichtlich verfängt dieser Populismus bei einem Teil der Bevölkerung. Und dann liegt es bei den anderen demokratischen Parteien und ihren Vertretern, eben diesen Populismus offenbar zu machen und die Menschen davon zu überzeugen, dass die Wahl der AfD eine vergebene Stimme ist und für die wirkliche Lösung ihrer Probleme nichts beiträgt.
A.F.: Die FDP spricht sich gegen den Föderalismus im Bildungswesen aus. Gerade dies ist ein Thema, das auch mich sehr umtreibt – daher meine Frage: Sehen Sie hier tatsächlich realistische Umsetzungsmöglichkeiten?
R.H.: Also die FDP steht weiterhin für ein föderales System, für die Gliederung der Bundesrepublik in Länder. Aber die Frage ist, ob unser föderales System an allen Stellen noch tauglich und in der Lage ist, die Probleme, die wir haben zu lösen und so zu lösen, dass den Menschen insgesamt damit gedient und geholfen ist. Und da sind wir beim Bildungssystem an einem Punkt, wo man feststellen muss, dass Inhalte von Bildung an Landesgrenzen nicht halt machen und in den Ländern ganz unterschiedliche Maßstäbe und Anforderungen gesetzt werden. Wenn es jedoch darum geht im internationalen Vergleich gute Bildungsabschlüsse zu ermöglichen und unseren jungen Menschen und Kindern damit Chancen auf den Weg zu geben, dann ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, ob unser föderales Bildungssystem nicht überkommen ist und einheitlicherer und zentraler Maßstäbe bedarf.
A.F.: Aber ich sehe diese föderalistischen Strukturen als sehr gesetzt an, sehr eingefahren. Wird es nicht sehr schwer werden dort wirklich etwas zu verändern?
R.H.: Da gebe ich Ihnen recht, da sind über 70 Jahre in der alten Bundesrepublik und 30 Jahre in den neuen Ländern eingeübte, eingefahrene Strukturen, Begehrlichkeiten, Besitzstände, die man ungern aufgibt und daran festhält. Das ist, wenn wir sagen „Nichts soll so bleiben oder kann so bleiben wie es ist“ eine Herausforderung, vor der wir stehen. Es geht darum, unseren Vorteil, den wir als Land erreicht haben, unseren wirtschaftlichen Vorteil im Wettbewerb mit anderen Staaten nicht zu verspielen. Und da ist es wichtig, stärker auf europäische Integration und Zusammenarbeit zu setzen anstelle wieder zu spalten. Wenn wir hinter die Vorteile, die wir als rohstoffarmes Land erreicht haben nicht wieder zurückfallen und weiter mit Chancen vornweg gehen wollen, dann können wir nur in Bildung, in Köpfe investieren und dann ist es auch wichtig, dass wir zu mehr Gemeinsamkeit kommen und alles Trennende des Bildungsföderalismus hinter uns lassen.
A.F.: Sie haben die BRD als Einwanderungsland beschrieben.
R.H.: Wenn ich da einhaken darf, diese Kurzbezeichnung BRD gibt es offiziell eigentlich gar nicht. Es gibt die Bundesrepublik Deutschland und es gab die offizielle Abkürzung DDR für die Deutsche Demokratische Republik. Aber der Begriff „BRD“ ist von der DDR vor 1989 sehr bewusst als Schmähbegriff eingeführt wurden.
A.F.: Wie sehen Sie die Schaffung von Ballungsgebieten mit Migranten analog der „Eisenbahnstraße“? Andere Länder haben hier andere Konzepte – z.B. Dänemark – die im Hinblick auf eine langfristige Integration der Flüchtlinge vielleicht besser geeignet sind.
R.H.: Es gibt bei uns ganz viele Probleme und Fehler bei der Integration von Menschen, ganz egal woher sie kommen. Das haben wir erst jetzt wieder gesehen, mit diesem furchtbaren Messerattentat in Würzburg. Da haben wir irgendetwas falsch gemacht, da haben wir uns zu wenig um die Menschen gekümmert, die zu uns kommen. Wobei, sich um die Menschen kümmern nicht alles sein kann, sie müssen es auch selbst wollen, also der Ansatz von Fordern und Fördern. Bei den Hartz4-Reformen unter Kanzler Schröder war das auch der Ansatz. Heute versteckt sich die Sozialdemokratie für das was sie da 2005 beschlossen hat, aber es hat der Bundesrepublik wahnsinnig geholfen wieder auf die Füße zu kommen.
Aber zurück zum Ansatz „Fördern und Fordern“. Ich finde es furchtbar, wenn Menschen teilweise jahrelang in Flüchtlingsunterkünften sitzen, zwar versorgt sind und ein Dach über dem Kopf haben, aber ihr Status ungeklärt ist und sie nichts für sich selbst tun können, nicht arbeiten dürfen und dann nur in den Tag hineinleben können. Das sie dann leicht auf die schiefe Bahn geraten, wenn die Falschen sie ansprechen und sie sich in Bereiche der Illegalität begeben, wem soll man es verdenken. Es entstehen immer und überall Communitees, wenn man eine gewisse Zusammenballung von Menschen gleicher Herkunft hat. Und das ist in Leipzig ganz typisch die Eisenbahnstraße mit all ihren Problemen, die es dort gibt und die man nicht weg reden sollte. Aber die Darstellung der Eisenbahnstraße als die gefährlichste Straße Deutschlands ist doch reichlich übertrieben.
A.F.: Sie sprechen sich für ein klares Bündnis mit der Nato aus, bei gleichzeitiger Dialogbereitschaft mit Russland. Was dürfen wir darunter verstehen?
R.H.: Es gibt sehr lange deutsch – russische Traditionen, im Positiven wie im Negativen. Es gibt eine sehr lange Hinwendung nach Osteuropa und nach Rußland in den letzten 200 Jahren. Und es gibt noch enge, wirtschaftliche Verknüpfungen, Netzwerke und Kontakte von sehr vielen ostdeutschen Unternehmen nach Rußland. Ich glaube, das beste was Menschen zusammenbringt und es schafft, auch weniger demokratische Systeme bzw. so manches, was schon in Oligarchie erwachsen ist, zu überwinden, ist der gemeinsame Handel. Der alte Spruch von H.-D. Genscher „Wandel durch Handel. Wandel durch Annäherung.“ Mit gemeinsamen Standards, an die man sich hält und dazu zählen auch Menschenrechte und Demokratie.
A.F.: Zum Abschluss noch eine Frage: Was glauben Sie von Berlin aus noch speziell für Leipzig bewegen zu können?
R.H.: Es gibt ganz viele Fragen, die Leipzig betreffen, die in der Bundespolitik entschieden werden. Wesentliche Fragen von Stadtplanung, kommt ein bundesweiter Mietendeckel, kommen bundesweite einheitliche Regelungen mit weiteren Eingriffen auf den Wohnungsmarkt. Das sind Themen, wo sie mich, als Vertreter von privaten Eigentümern und privaten Vermietern, zu Hause sehen. Das ist etwas, das wird in Berlin entschieden und hat Auswirkungen auf Leipzig und auf Sachsen.
Annette Feustel