Wie das Coronavirus uns erwischte

Vorwort

Meine Frau und ich folgen immer den ärztlichen Ratschlägen, die uns vom sächsischen Gesundheitsministerium empfohlen werden. Wir haben stets auf die Dekrete und Appelle unseres geliebten Leipziger Oberbürgermeisters, Herrn Burghard Jung, geachtet. So überstanden wir mit Gottes Hilfe unbeschadet die erste Corona-Welle, indem wir sämtliche Vorsichtsmaßnahmen befolgt hatten:

Wir desinfizierten unsere Hände, gingen in den Parks Passanten aus dem Weg, die versuchten, näher als eineinhalb Meter an uns heranzukommen. Wir trugen Schutzmasken. Wir bliesen sogar alle unsere geplanten Ferienreisen ab im Gegensatz zu vielen, die im Sommer auf gut Glück – ihnen würde schon nichts passieren – nach Italien reisten, Venedig sahen oder nach Spanien flogen und Barcelona genossen, um uns dann zu erzählen, was für einen wunderschönen Urlaub sie hatten, da es nur wenige Touristen gab. Wir dagegen hatten sogar Angst, an die Ostsee zu fahren. Schließlich sind wir ehrbare Bürger!

Die zweite Welle

Der Sommer endete erwartungsgemäß Ende September, und die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Menschen begann zu steigen. Wir alle hatten uns, ehrlich gesagt, schon ein wenig entspannt. Wir fingen an, die Masken nicht mehr so häufig zu tragen. Wir begannen ohne Hemmungen durch die Stadt zu laufen, umgeben von Hunderten von Menschen, besuchten Cafés und Restaurants und in den Supermärkten hörten wir auf, mit Einkaufswagen umherzugehen und trugen die Schutzmasken unter der Nase. Erst als Besucher kamen, befolgten wir wieder die Vorschriften. Bei all unseren Aktivitäten hielten wir aber die Hygieneregeln ein. Der Gedanke, wir könnten mit dem Virus infiziert werden, trat allmählich in den Hintergrund.

Der erste Schock

Am 1. Oktober rief mich abends ein Kollege an und meinte, dass er sich nicht gut fühle und dass er am Freitag sicherheitshalber zu Hause bliebe. Er sprach von Erkältungssymptomen: Schwächegefühl, Halsschmerzen, leichtes Fieber. Es wurde übers Wochenende nicht besser. Seine Nase hörte auf, Gerüche zu unterscheiden. Am Montag ging er zum Arzt, um sich krankschreiben zu lassen und um gleich vor Ort einen COVID-19-Test zu machen. Bei offensichtlichen Krankheitssymptomen ist er kostenlos. Wir sind dem Arzt an dieser Stelle für die gezeigte Aufmerksamkeit sehr dankbar. Der Kollege rief mich am Dienstagnachmittag wieder an: „Ich habe eine ´Krone´ gefunden, und das Gesundheitsamt wird den Arbeitgeber kontaktieren.“ Eine halbe Stunde später meldete sich das Gesundheitsamt tatsächlich telefonisch bei mir und erklärte, dass bei unserem Kollegen das Coronavirus diagnostiziert wurde und ich das Amt über alle Personen zu informieren hätte, mit denen er am 30. September und 1. Oktober auf Arbeit zuletzt Kontakt hatte. Zum Glück waren das nur ich und unser deutscher Mitarbeiter.

In Quarantäne

Beide wurden wir ab dem nächsten Tag unter Quarantäne gestellt. Man untersagte uns, bis auf weiteres die Wohnung zu verlassen, um Einkäufe zu tätigen, Post zu holen etc. Anderenfalls würden uns Geldbußen bis zu 25.000 Euro drohen. Es wurde empfohlen, ein Corona-Tagebuch zu führen, zweimal täglich die Körpertemperatur zu messen und sich vom Partner – so vorhanden – getrennt voneinander in verschiedenen Räumen aufzuhalten. Nun, wir baten unsere Tochter, für meine Frau und mich Lebensmittel zu besorgen. In meinem Kopf herrschte Verwirrung: ´Was soll ich als nächstes tun?´. Es war Mittwoch. Um 8.30 Uhr läutete unsere Türklingel Sturm. Was war bloß los? Ich fragte: „Wer ist da?“, Antwort: „Gesundheitsamt.“Sie kamen, um die Einhaltung der Quarantäne zu überprüfen. Die Mitarbeiter kontrollierten meinen Personalausweis und verabschiedeten sich höflich, nachdem sie etwas in einem Journal notierten. Ich hatte nicht einmal mehr Zeit, mich interessierende Fragen zu stellen. Ich war verblüfft, ich war auf Leute in Schutzanzügen gefasst aber nicht auf jene, die vor der Tür standen und nur einen einfachen Mund-Nasen-Schutz ohne Handschuhe trugen. Also beschloss ich, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen und rief das G-Amt an.  Dort fragte man mich immer wieder höflich nach meinen Symptomen, woraufhin ich antwortete: „Mir geht es gut! Nur vor ein paar Tagen, vielleicht einer Woche hatte ich mich im Allgemeinen nicht so gut gefühlt! “ Antwort: „Keine Symptome, kein Test!“ Meine Zweifel bestehen also bis heute fort, und das G-AMT besuchte mich weiterhin fast jeden Tag, ob ich auch brav die amtliche Auflage erfülle, anstatt dass es mich auf das Vorhandensein des Virus testet. Wahrscheinlich bekommt es mehr für Hausbesuche bezahlt als für die Durchführung von Tests, was weniger rentabel zu sein scheint. Später stellte sich heraus, dass zwei weitere Mitarbeiter Corona-positiv waren, so dass alle von uns unter Quarantäne gestellt wurden. Ich darf zwar ab 16. Oktober wieder raus an die frische Luft, darf wieder arbeiten gehen. Aber die Anderen stehen vom Kontakt an noch bis zum 20. Oktober unter Quarantäne, obwohl mehrere zwischendurch das Haus verlassen durften, was mir nun auch nicht so richtig klar geworden ist. Wer Symptome vorgab oder glaubte, welche zu haben, bei dem führte das G-AMT zu Hause an der Wohnungstür den Test durch. Zum Glück hatte jeder von den Anderen ein „Negativ“ bekommen, aber deren Quarantäne hob man dennoch nicht auf! Meine Tochter wollte sich auch einem Test unterziehen. Also ging sie am Freitag zum Arzt und sagte, dass sie sich nicht gut fühle und ihr Hals wund sei. Der Arzt untersuchte ihren Hals und sagte: „Er ist gerötet.“ Dann gab er bekannt, dass er keinen Schutzanzug habe und demzufolge sie selbst den Test (den Abstrich) durchführen müsse. Gesagt, getan. Am Montag erhielt sie ihr „Negativ“-Resultat und am Dienstag ging sie, um sich vom dem ganzen Stress zu erholen, auf Reisen.

In einer Welt voller Gerüchte 

Ich dachte, ich könnte mich mal in der Quarantäne so richtig ausruhen. Aber falsch gedacht. An all diesen Tagen klingelte das Telefon unaufhörlich von morgens bis abends, entweder Festnetz oder mobil oder beides gleichzeitig. Natürlich ist es schön zu wissen, dass Menschen um einen besorgt sind! Aber die meisten Anrufer, so mein Eindruck, wollten einfach nur ihre Neugierde befriedigen, denn Gerüchte verbreiten sich offenbar schneller als das Coronavirus selbst. Mir wurde schlagartig klar, dass viele Menschen einfach nichts zu tun haben und deren Herzen, vor allem die unserer russischsprachigen Leser, regelrecht vom Hunger nach Neuigkeiten – egal ob Tatsachen oder Gerüchte – erfüllt sind. Und hier haben wir DIE Neuigkeit überhaupt: Das Coronavirus hat uns höchstpersönlich heimgesucht. Bekannte und Freunde sagen nicht umsonst: „Leipzig ist ein großes Dorf!“ Gerüchte verbreiten sich mit unglaublicher Geschwindigkeit von Mund zu Mund und deren Weitergabe fügt ihnen stets neue Nahrung hinzu. Ich gebe ein Beispiel: Ein Mann von 45 Jahren hatte tatsächlich Kontakt zu einem Corona-positiven. Er wurde daraufhin zwei Wochen lang unter häuslicher Quarantäne gestellt, ohne Symptome zu haben. Aus dieser Tatsache wurde: „Nach dem Kontakt mit dem Kranken wurde der Junge ins Krankenhaus gebracht und befindet sich nun auf der Intensivstation.“ So viel dazu.

Happy End

Ich kann es kaum erwarten, am Freitag wieder zur Arbeit zu gehen, schließlich sind fast zwei Wochen Isolation nur schwer auszuhalten. Jedenfalls wünsche ich allen Lesern Gesundheit, Glück und noch viele Jahre des Zusammenseins mit ihren Lieben, auf dass diese „Krone“ unser Leben so schnell wie möglich verlassen möge!

Михаил Ващенко
(frei ins Deutsche übersetzt: D. W.)

Original: https://moct.eu/language/ru/kak-do-nas-dobralsya-koronavirus/