Van Gogh-Experience

Langsam stolpert die Leipziger Kunst- und Kulturszene aus der Corona-Verdammnis. Ab 19. Juni darf das Schauspielhaus Leipzig seinen Spielbetrieb wieder aufnehmen, die frisch sanierte Musikalische Komödie ihre Türen öffnen und im Opernhaus das Leipziger Ballett „Märchen, Märchen“ auf die Bühne bringen. Im Gewandhaus wird am 19. Juni ein Klavierrezital im Rahmen des diesjährigen Bachfestes erklingen.

Verschiedene Museen und Galerien sind bereits wieder eröffnet. So auch das Kunstkraftwerk Leipzig (Saalfelder Str. 8), welches ein völlig neues Format der Darstellung von Werken bekannter Künstler präsentiert. Nach der Bach- und der Hundertwasser-Experience folgt nun die Van Gogh-Experience.

 

 

 

 

 

„Am Anfang war das Licht…“ und dieses setzt Van Goghs größte Werke in ein immersives, multimediales Spektakel. Mit Hilfe aufwendiger Lichtinstallationen werden ausgewählte Werke van Goghs in riesiger Auflösung an die bis zu acht Meter hohen Wände der ehemaligen Maschinenhalle des Kraftwerkes projiziert. Das Visuelle wird mit einer eigens arrangierten, teilweise komponierten Musik untermalt.

Ich muss gestehen, die Show nimmt einen gefangen. Vor allem nach der monatelangen Kulturabstinenz tut es der Seele gut, Mittelpunkt einer Projektion zu sein, mit ihr zu interagieren. Denn man schaut nicht auf ein Bildnis, man ist mittendrinn, man ist quasi Bestandteil des Bildnisses.

Die Bildnisse entledigen sich ihrer Starre und werden lebendig. Da schaukelt das Boot auf den Wellen in „Fischerboote bei Saintes-Maries“, erheben sich die Raben aus „Weizenfeld mit Raben“ auf ihre Schwingen, „betreten“ die „Kartoffelesser“ nach und nach die Szenerie. Verschiedene Selbstbildnisse drängen sich immer wieder durch die Bilder, die schönsten Blumenarrangements wechseln einander ab, man möchte unmittelbar in das Bett aus „Vincents Schlafzimmer in Arles“ versinken und fühlt sich regelrecht in die Szenerie des „Nachtcafé an der Place Lamartine“ versetzt.

Die Show folgt auch einer gewissen Chronologie – angefangen von den ersten, düsteren Ölgemälden zu den heiteren Farben während seiner Pariser Zeit bis hin zu seinen Spätwerken in Arles, als er unter der Sonne des Südens endlich „sein“ Licht fand, was seine Bilder so unverwechselbar macht.

Meines Erachtens eignen sich gerade die impressionistischen Werke Vincents van Goghs mit seinem unverwechselbaren, gestrichelten, fast plastisch wirkenden Pinselstrich besonders für derart riesige Projektionen. Da er in seinen Bildern die Motive oft zugunsten einer größeren Gesamtwirkung vereinfachte, wird das Detail nun für den Betrachter zu einer ganz neuen Erfahrung.

Mein Fazit bleibt medioker – einerseits überwältigend zeigen sich in der Interpretation des Kunstkraftwerkes auch entscheidende Mängel: die Musik ist zu leise, der Fußboden wird leider nicht mit in die Präsentation einbezogen und aus anderen Kritiken weiß ich, dass die Dimension des Geruchs in Leipzig gar nicht angesprochen wird. Van Gogh, dieser mit sich und der Welt allein gelassene, selbstzerstörerische Charakter fand zu Lebzeiten keine Käufer für seine Bilder. So muss auch für diese Multimedia-Projektionen erst noch das entsprechende Klientel gefunden werden, das entgegen aller Kritiken aus Kitsch (?) Kunst werden lässt.

Trotzdem eine klare Empfehlung für alle experimentierfreudigen Kunstliebhaber. Sicherlich sind die Bilder nicht mit den Originalen zu vergleichen, aber es ist eine völlig neue Sicht-Erfahrung. Lassen Sie sich überraschen. Viel Spaß!

PS: Im Rahmen des Besuches des Kunstkraftwerkes werden derzeit noch zwei weitere Multimedia-Experiences präsentiert.

 

Annette Feustel

Related posts